Donnerstag, 7. April 2011

Nennt ihn Ismael Teil 5 + 6

So hier bekommt ihr nun das vorläufige Ende der Geschichte, oder vielleicht ist das nur der Prolog für etwas größeres? Ihr könnt es entscheiden, je mehr Feedback, desto besser. Ich freue mich auf eure Anregungen.
Gruß Hirokeen


Der Geruch brachte ihn vorwärts, er hatte etwas warmes, bekanntes an sich, aber zugleich auch etwas, was ihn eigentlich dazu veranlassen sollte, sofort kehrt zu machen. Doch seine Neugierde war stärker als alle vorzeitlichen Bedenken, die er haben konnte. Er Schritt weiter, seine Augen begannen nun auch wieder mehr von seiner Umgebung wahrzunehmen, der Staub, welcher ihn seit jeher umgab, entsprach dem Rest seiner Umwelt. Er war sein trister Begleiter seit langer zeit geworden. Es war eine Hassliebe zwischen ihm und dem Staub. Zum einen wusste er, dass er vom Staub beeinträchtigt wurde. Er sah meist weniger als seine eigene Hand vor Augen, oder allerhöchstens einige Silhouetten um sich, aber gleichzeitig fühlte er sich in dieser ihn umgebenden Materie sicher. Es war die Konstanz in seinem Leben geworden. Staub.
Es wurde intensiver und langsam kamen wieder mehr Erinnerungen in ihm hoch. Es waren aber nur Farben. Rot und Schwarz. Beide miteinander vermengt in einem bösartigen Spiel von hell und dunkel. Zentrische Bahnen und mit dem Tod als Begleiter. Was war es, das er da gewittert hatte, denn seine Sinne funktionierten mittlerweile eher wie die eines Tiere, als wie solche eines Menschen.
Was war das für eine Assoziation, die seine Erinnerungen herbeiführen wollten, er vergaß immer schneller was einst die Wesenheit seiner Art ausgemacht hatte.
Schritt für Schritt, weiter sich versuchen zu erinnern, folgte er der Fahne. Jeder Schritt mit seinen Stiefeln zerstörte eine kleine Welt, eine kleine Welt aus Staub, jene vergänglichen Gebirge zu seinen Füßen, die so winzig klein nur für ein Augenzwinkern noch existieren, Wunderwerke eines Schmetterlings aus Willkür entstanden, ohne bewundert zu werden.
Wie ein Blitz schoss erneut eine Erinnerung durch seinen Kopf. Doch dieses Mal wusste er genau woher sie kam. Sie war weiß, die Erinnerung war weiß, sie war ein Wechselspiel aus allen nur erdenklichen Weißtönen. Jeder Schritt, den er nun tat nährte diese Erinnerung. Er schloss die Augen, die ersten Eindrücke vergessend, das neue in sich aufsaugend. Es war als ob ihm fröstelte bei dem Gedanken. Vor seinem inneren Auge formte sich das Wort, welches seine Erinnerung manifestierte. Es war Schnee, er schritt plötzlich durch Schnee. Er konnte es nicht glauben. Seine Gedanken jagten. Er schritt nicht mehr durch Staub. Die Welten die er zerstörte, sie waren nicht Teil einer Ödnis, sie waren Teil des Schnees. Er öffnete die Augen. Die Welt war nicht mehr grau, sie war wie verändert. Die einstmals graue Wand erstrahlte vor ihm. Sie blendete ihn, aber er sah nicht weiter als zuvor.
Ein Teil seiner Welt kehre zu ihm zurück, aber war es ein guter Teil seiner Welt, es war auf jeden Fall ein kalter Teil seiner Welt. Er bemerkte, wie sie in ihn eindrang, er verschmolz mit ihr. Das Gefühl, so unbekannt es ihm erschien, er wurde dadurch neugeboren, verfiel er in einen Sog des Neuen, oder spielte sein Verstand, sein Unterbewusstsein, das Vergessenes archivierte ihm einen Streich.
Das weiß wurde wieder zu rot. Der Grundton änderte sich, Kontrast gehört dazu. Er ging weiter, eine Hand noch vorne gestreckt, seiner alten Fährte folgend, suchend, welcher Teil seines Vergessens ihn erinnerte.
Sein Geruch leitete ihn. Es war nun nicht mehr die weißte Kälte, die ihn frösteln ließ, es war der Tod der vor ihm zu warten schien. Sein links und sein Rechts stoben auseinander. Vor ihm war ein Punkt, rot und schwarz. Er wartete. Er hoffte auf eine Erinnerung, sie blieb aus.
Die Ungewissheit stach ihm ins Herz. Er vergaß einst noch etwas anderes. Mut.

Er spürte die Säule in seinem Nacken an die er sich lehnte und beobachtete. Seine mitgebrachten Freunde waren nicht in seinem Blickfeld. Er war nicht auf sie angewiesen. Seine Sinne waren geschärft. Beeinflusst durch Stoffe in seinem Getränk, glücklicherweise raubten sie ihm nicht den Verstanden auf die weise, wie die Inhalte der Gläser seiner um ihn herum anwesenden Menschen.
Er sah die Herde, wie sie wogte und flanierte. Er stand am Rand eines Durchgangs, welcher zwei Weidegründe der Männer miteinander verband. Er fand es ziemlich interessant wie sich die Leute zueinander bewegten, sich aneinander vorbei schoben. Eben war er noch Teil dieses Meeres gewesen, nun stand er an einer Klippe daneben, wartet, schauend, bereit hinein zuspringen, wenn es sich lohnte, aber dennoch jeden Fisch registrierend, welcher sich zwischen den Walen hindurch schlängelte.
Manche sahen aus, als ob sie nicht mehr wissen würden wo sie seien. Sie liefen wie in Trance durch die Reihen der anderen, auf der Suche nach jemand oder etwas, das sie längst selbst nicht mehr wussten. Die meisten waren nicht mehr Herr ihres Willens, Die Herde funktionierte wie eine Einheit, wie ein Haufen Partikel. Wie ein Schwarm Motten sich um das Licht versammelte strömten sie um die Bars und füllten dort ihre Batterien auf, um sich wieder in den Strom zu werfen.
Seine Hände fassten sein Glas fester. Es war Zeit selbst wieder Teil von etwas zu werden, das er in seinem tiefsten Innern verabscheute. Er musste mit der Masse verschmelzen um das zu erlangen nach was er sich am meisten sehnte. Obwohl er wusste, dass es vergebens sein würde, tat es trotzdem.
Er stieß sich weg, seine Schulter drückte sich gegen die eines weiteren Schweins, er erkannte zwar das Gesicht nicht, doch bei dem Geruch konnte er sich nicht täuschen. Um ihn herum bewegte sich alles, die Gesichter um ihn herum waren nur noch Schemen, er sah Frauen, ihr Antlitz meist grob entstellt, maskiert durch dicke Schichten der Unwahrheit. Ihr Geruch jedoch, entsprach eher dem Leibreiz, was er zu finden erhoffte. Doch auch das war nichts weiter als Maskerade. Ihr Konsum unterschied sich nur unwesentlich von dem ihrer Geschlechtspendants, lediglich die notwendige Wirkungsmenge ist unterschiedlich.
Er spürte wie es enger um ihn herum wurde, die Leiber seiner Umgebung drückten auf ihn ein. Seine noch nassen Sportschuhe glitten über den Boden, er rutschte mehr als dass er ging, aber fallen war nicht möglich.
Es ging beständig vorwärts, ständig getragen von der wogenden Welle. Am Ziel angekommen, erkannte er, dass sein erhofftes Ziel, nicht mein seinem tatsächlichen entsprach. In einer Lache aus stinkenden Körperergüssen lag ein Mann, oder das was früher einmal ein Mann. Sabbernd und triefend vor Makel, lag er da. Bei Bewusstsein, stotternd, er sei der Herr der Welt. Herr einer Welt, die sich gerade aus erbrochenem Salamibaguette und russischem Wodka zusammensetzte. Er stand über ihm, unfähig zu begreifen wie ein Mensch sich so sehr vergessen konnte.
Dieser Mann lag wimmernd in seiner eigenen Scheiße und die Welt, in der er zuvor wohl über viele andere hinausragte, schaute nun auf ihn herab.
Er stand weiterhin fassungslos daneben, aber gleichzeitig stolz, dass er nicht jenem Verhängnis erlag, welches diesen einen dort traf. Der Sog welcher viele an diesem Ort verschlang, folgte er nicht, er schwamm dagegen als einzelner Fisch im großen Meer. Und die Wogen brachen erneut auf ihn ein.

Die Szenerie verschlang sein Bewusstsein. Vor ihm breitete sich eine Ebene aus. Vor ihm lag eine Erinnerung. Die Vergangenheit breitete sich vor ihm aus und er durchschritt sie. Seine Schritte teilten die Wogen aus Staub, welche sich weiterhin um ihn herum befanden. Er ging vorwärts auf den Kontrast in der Ödnis zu. Er folgte sowohl dem Geruch, als auch der Erinnerung. Jeden Schritt den er tat, beging er wie ein Fest. Auch hier zelebrierte er jedes Anzeichen von Leben, zu welchem er selbst fähig war. Er streckte seine Hand voraus, versuchte zu greifen, was er hoffte zu finden. Doch er griff ins Leere.
Stattdessen kam sein Seesinn mit solcher Präzision zu ihm zurück, dass er glaubte erblinden zu müssen. So intensiv. Einst hätte ein solches Gefühl in ihm Verlangen ausgelöst. Nun jedoch, widerte es ihn an. Er sah, den Tod.
Tief eingegraben und schon halb von Staub bedeckt lag vor ihm das, was ihm sein Geruch als rot und schwarz beschrieb. Es war ein totes Tier. Früher wohl eine Standarte der Lebendigkeit, heute nun nur noch ein trauriges Echo seiner selbst. Vor ihm lag ein Masttier, geschlachtet von unbekannter Macht. Das Schwein, dessen Nüstern grau von Staub und rot von Blut bedeckt waren. Es schien zu atmen, aber dennoch tot. Er griff erneut nach vorne. In seine Knie gestützt griff er hinein in das tote Tier. Die Innereien schmiegten sich warm an seine Haut. Es war befremdlich. Er dachte, so wie sein Geist nun begann selbst zu denken, muss es sein, wie seltsam es von außen aussehen müsste.
Hier kniet ein Mann mitten im Nirgendwo, umweht von grauem Staub, neben einem toten Tier und streckte seine Rechte ausgestreckt in dessen Innerstes. Das Tier war noch nicht lange tot. Er zog die Hand zurück und betrachtete sie. Das Blut rann dunkel seinem Handgelenk hinunter. In der Grausamkeit dieses Moments wusste er wieder was der Unterschied zwischen Leben und Tod war.
Du lebst, so lange du selbst des Ganges deines Blutes Herr bist.
Das Blut dieses Tieres, hinfort getragen aus seinem eigenen Leib, folgte nun nur noch einer Macht, seiner eigenen Masse, so floss es zu Boden. Zuvor Träger des Lebens gewesen ist es nun nichts weiter als sich bewegende Farbe in einem Meer aus Grau.


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